Wo sich Frankfurt neu erfindetIm Osten viel NeuesEine Multimedia-Reportage von Andreas Bauer und Meliha Verderber.
Der Frankfurter Osten verändert sein Gesicht. Das liegt auch an der EZB, in deren Windschatten neue Wohnungen, Büros, Hotels, Parks und Cafés entstehen. Der Wandel hat Gewinner und Verlierer.
Bankräuber
Johny Beruk zieht den grünen Samtvorhang zur Seite und öffnet zwei mannshohe Stahltresore. Einst deponierten hier die Händler von der Großmarkthalle ihre Einnahmen. Heute schimmern Whiskey-Flakons in den Regalen. Vor kurzem hat Beruk in der ehemaligen Bank direkt gegenüber der Markthalle seine Bar eröffnet - benannt nach dem Bankräuber Jesse James. Eine Parodie auf die Vergangenheit, erklärt der neue Inhaber.
"Ich habe meine Zelte hier aufgeschlagen, weil ich den Ort nach dem Bau der EZB so spannend finde", sagt Beruk. Ein Viertel im Wandel: Johny Beruk sieht darin eine Chance - viele andere auch.
Ikone himmelblau
Kein Gebäude verdeutlicht den Wandel des Frankfurter Ostends mehr als der Neubau der Europäischen Zentralbank. Wo früher mit Obst und Gemüse gehandelt wurde, wird jetzt der Leitzins festgelegt.
Zwei 165 und 185 Meter hohe Türme durchbohren die 250 Meter lange ehemalige Großmarkthalle. Das verantwortliche Architektenteam Coop Himmelb(l)au spricht von "einer dreidimensionalen Ikone für die EU". Kosten: 1,2 Milliarden Euro. Das Gebäude bietet Arbeitsplätze für 2.900 Menschen. Das gesamte Areal ist zwölf Hektar groß.
Vier Jahre dauerten die Bauarbeiten.
Booming-Ostend
Und die Kräne kreisen weiter. Die Baumaschinen rattern. Rund um die EZB ist einiges in Bewegung. Gebaut werden Wohnungen, Kitas, Kinos, Büroräume und Hotels. Auf rund ein Dutzend Großbaustellen wachsen neue Quartiere gen Himmel. Das ehemalige Arbeiterviertel wandelt sich in Windeseile.
Die Großbaustellen tragen
klangvolle Namen:
Eastside-Quartier,
Hafenpark-Quartier,
Mayfarth-Quartier.
Alleine auf dem Honsell-
Dreieck entstehen 500
neue Wohnungen.
Boardinghaus statt Bordell
Tor zur Stadt
Im Windschatten der EZB haben sich bereits neue Bewohner angesiedelt. 2.000 Wohnungen sollen es insgesamt einmal sein. Die Ausstattung ist gehoben. Die Quadratmeterpreise liegen bei 5.000 Euro. Das neue Wohnen im Ostend hat zwar nicht mit der EZB begonnen. Doch: "Der Bau hat den Wandel des Viertels beschleunigt", sagt die Stadtforscherin Heike Herrmann. Der Neubau der EZB habe die Aufmerksamkeit der Investoren noch einmal auf das Gebiet gelenkt.
Früher sei das Ostend eine Art Eingangstor der Stadt für Ankommende gewesen, sagt die Stadtforscherin. Im Grunde stimmt das noch immer. Nur ihre Zusammensetzung hat sich geändert. Waren es früher die "Gastarbeiter", kommt heute eine urbane Mittelschicht.
Neu-Nachbarin
Eis Hawaii
Neue Gastronomie
Strippenzieher
Hafenpark
Himmelsstürmer
Wunderland
Gleichzeitigkeiten
Realwirtschaft
Viele der Migranten, die früher in Frankfurt ankamen, fanden hier im Osten Arbeit. Nur wenige Meter von den neuen Großbaustellen entfernt liegt der Osthafen. Im Containerhafen und den umliegenden Fabrikgebäuden arbeiten noch immer rund 8.000 Menschen.
Am Strand
Mitten drin im Osthafen: die Gastwirtschaft "Zur Insel". Seit 50 Jahren Anlaufstelle für viele Hafenarbeiter und Lkw-Fahrer.
Insel-Chefin
Wohnung gesucht
Sue gibt auf
Sue Opfermann reicht es. "Das Viertel hat kein Herz mehr", sagt die Inhaberin von "Sue’s Soulkitchen". "Früher waren wir eine Riesenfamilie. Jetzt geht es nur noch ums Geld". Vor wenigen Tagen hat sie ihr Bistro geschlossen und ist zurück in ihre Schweizer Heimat gegangen.
Heimatlos
Die neuen hippen Bars des Ostends versprechen eine Heimeligkeit, die Anna Satvary verloren hat. Auf dem Gelände der Großmarkthalle hat sie einst Fahrradfahren gelernt. Die Nachbarskinder kannten sich. "Heute sehe ich jeden Tag neue Gesichter", sagt die Metzgermeisterin. Sie habe gesehen, wie sich die neuen Bewohner über die Armen der nahe gelegenen Caritas-Station aufregten. "Das kennzeichnet die neuen Mitmenschen hier", sagt Satvary. "Die kommen hierher, weil es eben gerade hip ist. Aber alles, was das alte Ostend ausmacht, wollen sie lieber beiseite schieben."
Anna Satvary wird mit ihrer Familie das Viertel verlassen und nach Offenbach ziehen.
Tagesschau-Schauer
Ortsvorsteher Bodo Pfaff-Greiffenhagen ist stolz - einerseits. Als er zum ersten Mal einen Reporter vor der neuen EZB in der "Tagesschau" sah, sagte er zu seiner Frau: "Wahnsinn: Mein Ostend um acht Uhr in den Welt-Nachrichten." Doch andererseits ....
Da gibt es diese "Kutscherklause". Für Ortsvorsteher Bodo Pfaff-Greiffenhagen ist die Wirtschaft ein tolles Kleinod. Es wäre schade, wenn es das einmal nicht mehr gäbe, sagt er. Denn einen Wunsch hat der Ortsvorsteher. "Die neuen Bewohner im Ostend sollten Verständnis haben für das, was sie vorfinden und erkennen, dass es Erhaltenswertes gibt."
Fotos: Andreas Bauer, hr-online (23)
dpa (2)