Intro
25 Jahre nach dem MauerfallIn der Krise wiedervereintSeit 1989 trennt kein Grenzzaun mehr das hessische Altenburschla und das thüringische Großburschla - die Orte an der ehemaligen Todeszone kämpfen heute gemeinsam ums Überleben
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Draufblick
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RückblickLeben mit der Grenze
Die 1.300 Großburschlaer sahen sich außer den Metallgitterzäunen Wachtürmen, Wachhunden und 100 Grenzschutzbeamten gegenüber. Immerhin wurden die Selbstschussanlagen rund um das Dorf bald wieder abmontiert, weil das Hochwasser der Werra sie auslöste.
Die Wende
Die Freunde und Verwandten von drüben wurden schon erwartet und herzlich begrüßt.
Wende im Westen
Ihre Geschichten handeln nicht von Angst, sondern von den ersten Großburschlaern, die sich bereits am 9. November nach Altenburschla verirrten. Oder von Wanfrieder Lebensmittelhändlern, die mit Südfrüchten das Geschäft ihres Lebens machten.
Einblick
EinblickGrenzenlos?
Zusammengewachsen sind Wanfried und Treffurt aber in den Beziehungen der Bürger, freilich auch in ihren Problemen: Wegzug von jüngeren Menschen, Verlust von Arbeitsplätzen, Überalterung. Die Herausforderungen sind typisch für kleine Orte an der Peripherie, selbst wenn sie wie hier in der Mitte Deutschlands liegen. Dennoch bleiben Heldra, Alten- und Großburschla speziell: Sie lagen früher in einem politischen und liegen heute in einem wirtschaftlichen Krisengebiet.
Die Grenze von einst ist verschwunden, doch Grenzen gibt es noch. Sie haben sich nur verschoben.
Buffy & Micha: "Kleines Dorf"
Das schönste Dorf Deutschlands
Der langjährige Bürgermeister und Ortsvorsteher trieb seine Nachbarn an, aus Altenburschla ein Fachwerkdorf wie im Bilderbuch und zum ersten Sieger im 1959 ausgerufenen Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" zu machen. Das war aber nicht der Grund, warum die große "Zeit" über das kleine Dorf berichtete. Denn Altenburschla war vor 1989 durchaus berühmt: ein wohlhabender Ort mit 500 Einwohnern und bis zu 20.000 Übernachtungen von Touristen pro Jahr. In Reisebussen kamen die Fremden aus allen Teilen der Bundesrepublik. Auch bedeutende Politiker waren dabei. Sie wollten die Grenze sehen.
Als eine Nachbarin Altenburschla schweren Herzens in Richtung Bremen verließ, nahmen zwei Musiker aus dem Ort, Buffy & Micha, ein Lied für sie auf: "Kleines Dorf".
Heldra
Dank Wander- und Radfahrwegen an der Werra hat Heldra heutzutage ein paar hundert Gäste im Jahr, so viele wie das Nachbardorf. "Für Altenburschla war die Grenzöffnung ein Rückschritt, was die Touristen angeht, für uns ein Vorteil", sagt Werner Jung vom Heimatverein Heldra.
West trifft Ost
An Weihnachten 1989 trafen sich Hessen und Thüringer auf dem 504 Meter hohen Berg. Hubert Steube, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Heldrastein, breitete damals seine Idee aus: "Ich habe anknüpfen wollen an die Geschichte und gefragt: Wollen wir einen Verein gründen, damit wieder Ausflügler aus der ganzen Region hierherkommen?" Hier trafen sich ab dem späten 19. Jahrhundert Arbeiter- und Gesangsvereine, feierte man große Bergturnfeste, verliebten sich junge Leute. Schon immer entstand etwas auf dem Heldrastein.
Die IG Heldrastein, ein Verein mit Mitgliedern aus West und Ost, kaufte der Treuhand den Stasi-Turm ab und baute eine Ausflugshütte.
Aber viele Jugendliche haben kaum Kontakt zu Gleichaltrigen im anderen Bundesland, wie der 22-jährige Tim Lippold aus Altenburschla berichtet. Sie gehen nicht auf dieselben Schulen. Die Verwaltungsgrenze zwischen Hessen und Thüringen trennt sie noch ganz real im Alltag. Die meisten Wege in den Osten sei er einfach nicht gewohnt, sagt Tim.
Strukturschwäche
In Wanfried und seinen Ortsteilen Altenburschla und Heldra waren es vor wenigen Jahren nur halb so viele wie noch Anfang der 1990er. Seitdem ist die Zahl leicht gestiegen. Bürgermeister Wilhelm Gebhardt setzt auf Tourismus, die Vermarktung von Fachwerkhäusern und Freiberufler, für die der weite Weg zur Autobahn nicht täglich ins Gewicht fällt. Auch Gebhardts Treffurter Kollege Michael Reinz weiß, dass er junge Familien anlocken muss, damit Stadtteile wie Großburschla nicht aussterben. Noch seien Kitas, Ärzte und allerlei Einzelhandelsläden da, sagen beide. Noch.
Dorf ohne Jugend
Nachwuchs bei der Feuerwehr? Schwierig. Heldra hat noch einen Sportverein, aber der hat keine Mannschaften mehr, es waren einmal elf. Die in Großburschla schließen sich immer öfter denen in Altenburschla an, weil sonst keine Mannschaft mehr zusammenkäme. Zwar finden so Jugendliche aus West und Ost zueinander. Aber ohne Kinder stirbt jedes Dorf.
Ausblick
AusblickSterbende Dörfer
Die Kommunalpolitiker strecken sich nach Kräften, um mit Kita-Plätzen, Arztpraxen, Supermärkten eine Infrastruktur zu erhalten, die den Städten und den dazugehörigen Dörfern ein Überleben ermöglicht. Nicht unwahrscheinlich ist aber dieses Szenario: Die einstige Todeszone an der Grenze verwandelt sich in eine Sterbezone.
Buffy & Micha: "Good-bye, mach's gut - Altenburschla"
Festhalten am Dorf
Im Winter kommt kein Mensch. Skilaufen lässt es sich im Werratal schlecht. In Wanfried gibt es jetzt einen Indoor-Golfplatz für die, die im Winter in Schwung bleiben wollen. In der Halle strickten früher Hunderte von Arbeiterinnnen Damenmode für die Firma Bode.
Trotz der düsteren Zukunftsaussichten: Die Leute geben ihre Dörfer nicht so einfach her. Sie halten daran fest und zueinander, so wie sie früher die allgegenwärtige Grenze zusammengehalten hat.
Das Lied von Buffy & Micha, eine weitere Ode an das kleine Dorf, findet für die Verbundenheit der Einwohner mit Altenburschla den richtigen Ton.
Bis zuletzt
Trotz dieser teils erst vor 25 Jahren gewonnenen Freiheit halten junge Leute in Altenburschla, Heldra und Großburschla an ihrer Heimat fest - wenn auch auf Widerruf. Falls sich eine Arbeitsstelle eben nur in der Ferne findet, werden sie überlegen müssen, ob sie von Heimatverbundenheit auch leben können. Ob sie in ihren Dörfern etwas Eigenes auf die Beine stellen können.
Für die Älteren ist das Festhalten am Dorf unwiderruflich. Sie bleiben bis zuletzt. Wenn sie weg sind, wird von den Dörfern nicht mehr viel da sein.
CreditsIn der Krise wiedervereint - eine Multimediareportage von hr-online.de
Fotos und Videos: Daniel Moßbrucker
Fotos Grenzzaun und Begrüßung an der Grenze: Sybille Weber/Stadtarchiv Eschwege; Foto Abriss Grenzzaun: Videostill aus hessenschau vom 13.11.1989
Video Grenzöffnung Großburschla: Karl Montag jr; Video Karl Montag: hessenschau vom 17.11.1989
Recherche: Stephan Loichinger und Julian Herbst
Vielen Dank an:
Elli Dingel für die Single "Kleines Dorf/Good-bye, mach's gut - Altenburschla" von Buffy & Micha
Karl Kollmann vom Stadtarchiv Eschwege
Markus und Thea Rohfeld mit ihren Enkeln Marissa, Bill und Leon für die filmreifen Trabi-Fahrten