Riedberg 2.0?
Wo Frankfurt wächst - und an seine Grenzen stößt
Doch Frankfurt wächst weiter - und damit auch die Wohnungsnot. Unweit des Riedbergs soll nun ein neuer Stadtteil für bis zu 30.000 Menschen entstehen.
Das könnte die Wohnungsnot in der Stadt lindern- doch zu welchem Preis?
Eine Multimedia-Reportage von Sophia Averesch
Der Riedberg war bloß zweite Wahl
Dabei war Wohnen im Neubaugebiet eigentlich nicht die Traumvorstellung der selbstständigen Unternehmerin. Das Ehepaar suchte zuerst in der Innenstadt. Aber: "Wir wollten mehr Platz und etwas Eigenes. Auf dem Riedberg war das möglich."
2002 zog das Ehepaar aus ihrer Wohnung im Frankfurter Nordend aus. Das weiße Reihenhaus auf dem Riedberg wurde ihr neues Zuhause. Doch gerade die Anfangsjahre wurden zur Herausforderung.
Ein entscheidender Fehler
Sechs Jahre lang musste Uta Goretzky zum Einkaufen über die Autobahn fahren. Schnell zu Fuß zum Supermarkt um die Ecke? Vollkommen ausgeschlossen. "Es gab keine Kneipe, kein Café. Alles musste man mit dem Auto erledigen", erinnert sich Anwohnerin Uta Goretzky.
Einziger Lichtblick: Jeden Freitag- und Samstagmorgen öffnete ein Bäcker einen kleinen Verkaufswagen. Am Sonntag hatte er aber schon wieder zu.
Das hat sich geändert. Inzwischen gibt es ein Einkaufszentrum, einen Wochenmarkt, Restaurants und Cafés.
Endlich Anschluss
Wer vom Riedberg vor 2010 in die Frankfurter Innenstadt wollte, musste eine kleine Weltreise unternehmen.
Nun ist der Stadtteil an das U-Bahnnetz der Stadt angebunden. Die Shoppingmeile "Zeil" ist nur noch gut 20 Minuten vom Riedberg entfernt.
Ein Stadtteil macht (langsam) Schule
Doch viele Familien vermissten dort lange Zeit ein attraktives Schulangebot für ihre Kinder. Erst 2013 konnte das Gymnasium Riedberg in sein neues Gebäude ziehen.
Inzwischen lernen hier 1.500 Schüler. Der Schwerpunkt liegt auf Naturwissenschaften und Internationalität. Der Unterricht in Fächern wie Mathe, Erdkunde und Biologie ist auf Englisch.
"Wir Riedberger wurden alle hierhin gespült"
Uta Goretzky, Anwohnerin
"Ich habe hier jetzt alles, was ich brauche"
Erst umstritten, nun begehrt
Doch inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. Der Riedberg ist zu einem begehrten Frankfurter Stadtteil geworden.
Klar ist aber: Wenn die Progonosen für die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Frankfurt zutreffen, dann reicht der Riedberg nicht mehr aus. Deswegen plant die Stadt im Nordwesten einen weiteren neuen Stadtteil.
"Erst die Infrastruktur, dann die Wohnungen"
Peter Feldmann (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt
Die Stadt hat dazugelernt
Die Vision der Stadt
Noch fahren hier Trecker, gelegentlich kommt ein Jogger vorbei. Doch schon bald soll hier südwestlich vom Riedberg in Richtung Taunus ein neuer Stadtteil entstehen. Bis zu 30.000 Menschen sollen hier dann einmal leben - doppelt so viele Einwohner, wie auf dem Riedberg einmal geplant waren.
Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) spricht vom "neuen Nordend" - einem der beliebtesten Wohnviertel in Frankfurt. Das neue Stadtviertel soll aber bezahlbar bleiben - so die Vorstellung der Planer: Ein Viertel für die "Krankenschwester, den Polizisten, die Erzieherin", wie Feldmann verspricht. Mit 40 Prozent gefördertem Wohnraum.
Wie damals beim Riedberg formiert sich allerdings Widerstand - zudem gibt es einige ungelöste Probleme...
Ansässige Landwirte
Bauern wie Richard Bickert wollen ihr Land nicht hergeben
Die Nachbargemeinden
Die Bürgermeister der Nachbarkommunen wie Stefan Naas aus Steinbach sorgen sich
Umweltschützer
Das Stadtviertel behindert Frankfurts Frischluftzufuhr
Bauliches Hindernis
Die A5 spaltet das Stadtviertel
Lebenswertes Wohnen an der Autobahn?
Es ist die Lage des neuen Stadtviertels, die für Proteste sorgt. Eine der Sorgen: Die vielbefahrene A5 zerschneidet das neue Viertel. Die Frage ist, wie unter diesen Bedingungen ein Stadtteil zusammenwachsen kann - zumal die Autobahn noch ausgebaut werden soll. "Das ist nicht einfach", bestätigt Stadtplaner Michael Peterek.
Einer Stadt geht die Luft aus
Klimaforscher und Meteorologen befürchten, dass Frankfurt an seinem neuen Stadtviertel erstickt. Sie prognostizieren, dass sich das Klima in der Frankfurter Innenstadt durch die Bebauung aufheizen wird. Momentan sorgt das neue Stadtviertel für Frischluft aus dem Taunus. Im Frankfurter Klimaplanatlas gilt die Fläche als "Frisch- und Kaltluftentstehungsgebiet".
"Das ist das Wertvollste, was man Landwirten nehmen kann"
Richard Bickert, Landwirt in Oberursel
"Ich verliere meine Existenz"
Landwirte wie Richard Bickert müssen für das neue Viertel ihr Land hergeben. Doch sie wollen das nicht - denn sie fürchten um die Existenz ihrer Betriebe.
Stefan Naas (FDP)
Bürgermeister der Stadt Steinbach (Audio)
Angst vor sozialen Problemen
Auch die Nachbarstadt Oberursel will einen Korridor zwischen sich und Frankfurt.
Michael Peterek
Professor für Städtebau und Entwerfen an der Frankfurt University of Applied Sciences (Audio)
"Es geht nicht mehr anders"
Verdichten ist eine Möglichkeit. Aber das reicht nicht mehr, wie Stadtplaner Michael Peterek sagt. "Die Stadt muss auch Flächen auf der grünen Wiese nutzen."
Dabei sei unvermeidlich, dass einige verlieren würden, damit viele profitieren. Diesen Abwägungsprozess müsse die Stadt vornehmen.
Das kleinere Übel
Die Stadt Frankfurt steckt in einem Dilemma: Gefordert wird bezahlbarer Wohnraum - doch wenn die Stadt neue Viertel plant, stößt sie auf Widerstand, bei Anliegerkommunen etwa.
Nichtstun ist wohl aber keine Alternative. Wenn die Stadt nichts gegen die steigende Wohnungsnot unternimmt, dann werde die Schere zwischen Arm und Reich noch größer, sagt Stadtplaner Michael Peterek.
Frankfurt wächst. Eine Lösung, die niemandem wehtut, kann es offenbar nicht geben.
Impressum
Kamera: Sophia Averesch, Sven Bader (Copter)
Grafik: Kerstin Henninger
Schnitt: Corinna Klingler
Luftaufnahmen auf Seite 9 & Seite 12: Mit freundlicher Genehmigung des Stadtvermessungsamts Frankfurt
Illustrationen: colourbox.de